Je näher wir Shiraz kommen, desto mehr Weinberge sehen wir. Ach, wie herrlich muss es hier vor 40 Jahren – vor der Revolution – gewesen sein, als aus den Trauben noch der weltbekannte Wein gekeltert wurde.
Jetzt produzieren viele Iraner im Keller heimlich ihren eigenen Wein, wie wir aus einigen Gesprächen und einer kleinen Kostprobe wissen. Es wäre auch naiv zu glauben, die vielen Hektar Wein würden nur der Rosinenproduktion dienen.
Die Stadt kann uns nicht wirklich begeistern. Wir sehen uns ein paar Sehenswürdigkeiten an. Aber langsam scheint sich unser Interesse an persischer Baukunst zu erschöpfen. Bemerkenswert ist vielleicht noch der Basar mit der Vakil Moschee. Diese ist etwas besonderes, weil es eine arabische Moschee ist (keine Kuppel, dafür viele Säulen) und weil die Muster auf den Fliesen mit viel Gelb und Rosa verziert sind.
Außerdem kommen wir eher zufällig am Shah Cheragh Shrine vorbei. Judith muss wieder einmal einen ätzenden Leihtschador umhängen, Wolfgang muss die Kameras abgeben und ein Mann der Abteilung für Internationale Angelegenheiten – gekennzeichnet mit einer breiten Schärpe – geleitet uns durch die Anlage. Es glitzert und funkelt wieder ganz heftig und da dieser Shrine der drittheiligste Ort des Iran ist, dürfen wir nur von weitem einen Blick auf das Mausoleum werfen.
Wegen dreier Feiertage in dieser Woche haben viele Sehenswürdigkeiten und Geschäfte geschlossen. Die heißen Nachmittage verbringen wir im Melli Park, breiten im Schatten unsere Decke aus und trinken und essen ein bisschen. Wenn schon wegen des Ramadan tagsüber praktisch alle Lokale geschlossen sind, können wir (und die Iraner) wenigstens in den Parks picknicken.
Auch unserem Defender wollen wir nach den ersten 10.000 km etwas Gutes tun. Wir spendieren ihm einen vorzeitigen Ölwechsel, da die Dieselqualität im Iran sehr schlecht ist. Wir erhalten dazu in einer Facebook-Gruppe nützliche Tipps und stoßen so auf Ali Reza, einen Tourguide aus Shiraz.
Wir treffen uns mit ihm bei einer Ölwechsel-Werkstatt. Ja, es gibt im Iran Werkstätten, die nichts anders machen als Ölwechsel, Filterwechsel und Reifendruckkontrolle. Zum Glück haben wir die Ersatzteile (Ölfilter, Ölablassschraube) mit. Die wären sicherlich schwierig aufzutreiben gewesen. Das Motoröl hat die Werkstatt, die richtige Marke und die richtige Type. Wir sind positiv überrascht. Die ganze Arbeit ist dann in ein paar Minuten erledigt und kostet weniger als 40,- Euro.
Ali Reza lädt uns danach zu sich nach Hause ein. Er serviert uns ein erfrischendes Kaltgetränk, das herrlich schmeckt und den Körper kühlt. Er schreibt uns die Zutaten auf, damit wir sie im Basar kaufen können. Außerdem können wir bei ihm duschen und es bedarf einiger Überredungskunst unsererseits, dass wir nicht bei ihm in der Wohnung schlafen, sondern in unserem Auto im Hof der Wohnanlage. Er gibt uns seinen Wohnungsschlüssel, falls wir in der Nacht aufs Klo müssen. Wir sollen ihn am nächsten Tag einfach in die Wohnung zurücklegen. Welcher Österreicher würde wildfremden Menschen, die er gerade erst getroffen hat, seinen Wohnungsschlüssel überlassen?
Als wir zum Auto hinuntergehen, ist es kurz vor 21 Uhr und eine bunte Kinderschar von 4 bis 14 Jahren hat sich schon um das Auto versammelt. Sie sind recht lebhaft und laut und wir müssen sie einigermaßen zurechtweisen, damit sie nicht gleich hineinklettern. Wir setzen uns in einiger Entfernung vom Auto auf eine Bank, um die Kinder vom Auto wegzulocken. Ali Reza hat noch gesagt, dass um 21 Uhr Ruhe einkehren wird. Und tatsächlich: Um kurz vor 21 Uhr ertönt eine Trillerpfeife. Es ist der Parkplatzwächter/Hausmeister, der die Kinder sehr energisch auffordert, das Spielen einzustellen und nach Hause zu gehen. Sie gehorchen aufs Wort und es wird still am Hof. Die Volleyball-spielenden Männer bekommen noch eine kurze Nachfrist, aber dann müssen auch sie aufhören. Wir sind froh, dass wir unbemerkt mit dem Kochen anfangen können und für das Geschirrklappern keine Verwarnung bekommen.
Während wir kochen kommt ein junger Mann zu uns, der uns unbedingt etwas von seiner Kofte-Suppe abgeben will. Etwas später kommen zwei Brüder mit Kindern und Frauen im Schlepptau. Einer wohnt in der Anlage und hat seinen Bruder extra herbestellt, weil dieser Englisch spricht und uns begrüßen und mit uns reden kann. Der Bruder ist Notar und weiß gleich was ein Tax Advisor ist. Das ist das erste Mal, dass jemand diesen Beruf kennt. Er meint aber, dass Steuern im Iran im Gegensatz zu Europa unbedeutend sind.
Den ganzen Abend über spazieren hin und wieder Bewohner der Siedlung neugierig an uns vorbei. Auffällig viele Leute entsorgen ihren Müll – auf dem Weg zur Mülltonne kommt man bei uns vorbei.
Auch die nächsten beiden Tage und Nächte verbringen wir mit Iranern. Wir haben uns nämlich das erste Mal über Couchsurfing ein Quartier gesucht und unternehmen mit unseren Hosts einen Ausflug zu Nomaden.
Zahra und Mojtaba wohnen in einer ruhigen Seitenstraße.
Wir treffen am Abend ein und bekommen Safrantee serviert, der mehr als köstlich ist, sowie selbst gemachten Dough und Obst. Heute ist eine ganz besondere Nacht im Ramadan. In allen Moscheen findet ein Gebet statt, bei dem die 100 Namen Allahs gerufen werden.
Um Mitternacht gehen wir zu einer nahegelegenen Moschee. Dort trennen sich unsere Wege. Wolfgang geht mit Mojtaba und Judith mit Zahra. Wir kommen zum großen Finale und hören den Vorbeter die letzten 20 Namen Allahs singen. Wir finden die Melodie sehr schön, auch wenn wir nichts verstehen. Als der Gesang zu Ende ist und die Predigt beginnt, gehen wir wieder nach Hause.
Unsere Hosts geben uns Matratzen, Leintücher und Decken und wir legen uns in unserem Zimmer schlafen.
Am nächsten Morgen stehen wir erst nach 9 Uhr auf. Zahra macht Frühstück für uns. Brot mit Käse, Melone, Walnüsse, Pistazien und gelben Reispudding-Kuchen und Tee. Da die Hosts fasten, essen wir das Frühstück in unserem Zimmer. Daneben erledigen wir ein paar Dinge am Computer. Unsere Hosts sind die ersten Iraner, die wir treffen, die tatsächlich fasten.
Am Nachmittag fahren wir mit Zahra und Mojtaba zu den Nomaden. Zahra spielt uns auf der Fahrt iranische Musik vor und wir ihnen den Donauwalzer und den Radetzkymarsch. Es ist ein komisches Gefühl, mit den Klängen des Donauwalzers durch die iranische Landschaft zu fahren; es passt irgendwie nicht zusammen. Auf dem Weg treffen wir einen Freund unserer Hosts, der als Kind selbst als Nomade gelebt hat. Sie gehören zu den Ghashghaee Nomanden.
Wir besuchen heute seine Tante. Die Familie besteht aus Vater, Mutter, zwei Töchtern und einem Sohn. Daneben stehen noch die Zelte von zwei Brüdern des Vaters. Die älteste Tochter ist mit der Schule fertig und lebt bei den Eltern. Die jüngere Tochter geht noch zur Schule und lebt im Internat in der Stadt. Sie ist heute mitgefahren, um die Eltern zu besuchen. Der Sohn geht ebenfalls noch zur Schule und ist nicht da.
Das traditionell gebaute Zelt ist rechteckig. Es hat auf zwei Seiten halbhohe Wände aus Bambusmatten. Darüber spannt sich ein grober, schwarzer Stoff aus Ziegenwolle. Die anderen beiden Seiten des Zelts sind offen, auf der Schmalseite bei der Küche und auf der Breitseite, die nach Osten zeigt. Dort kann am Abend, wenn es kühler wird, eine Stoffbahn vorgespannt werden, die den Wind abhält. Im Inneren ist ein großer Teppich ausgebreitet. An der geschlossenen Längsseite stehen die Habseligkeiten der Familie, abgedeckt mit einem Nomadenteppich. Gekocht wird draußen oder drinnen, je nach Bedarf und Witterung.
Wir spazieren in der schönen Berglandschaft an der nahegelegenen Quelle vorbei. Die jüngere Tochter, Negine, weiß wo ihr Vater mit der Herde unterwegs ist und wir gehen ihm entgegen. Die Herde umfasst etwa 300 Schafe und Ziegen. Der Vater begleitet sie auf einem Esel weil er Knieprobleme hat. Er leitet die Herde mit verschiedenen Rufen, Krächzen, Zischen, die die Tiere scheinbar verstehen. Als er seine Tochter sieht, begrüßen sie sich sehr herzlich mit Küssen auf die Wange. So viel offen gezeigte Herzlichkeit ist im Iran ungewöhnlich.
Neben den Zelten gibt es zwei Pferche, die zwei Brüdern gehören. Die Tiere wissen scheinbar ganz genau, wohin sie gehören und gehen friedlich hinein.
Inzwischen hat die Mutter begonnen, das Abendessen zu kochen. Draußen steht ein Eintopf auf dem Feuer, Majafa = Aje dough = Reis-Linsen-Bohnen-Eintopf mit Dough. Drinnen bäckt sie Shol Sholak, ein Brot, das ein wenig an Palatschinken erinnert, nur groß wie ein Wagenrad und ohne Milch und ohne Eier. Sie streicht den Teig über ein nach oben gewölbtes, heißes Blech und löst die fertige Seite mit einem langen Spieß ab, dreht ihn damit um und lässt ihn fertig backen. Dann kommt das frische Brot auf ein Tablett. Der Neffe bestreicht es mit frischer Schafbutter und bestreut es mit Zucker.
Zum Essen wird ein Plastiktischtuch am Teppich ausgebreitet und wir setzen uns ringsum. In der Mitte steht das Tablett mit den Broten und jeder reißt sich ein Stück herunter. Die Schafbutter schmeckt kernig, aber eigentlich gar nicht nach Schaf. Wohl, weil sie so frisch ist. Wir verdrücken zwei dieser Brote, das ist mehr als genug für uns. Die Nomaden wundern sich, denn sie essen locker zwei Stück pro Person. Naja, sie arbeiten auch den ganzen Tag über härter als wir.
Als Hauptgang gibt es den Eintopf. Er wird auf großen Tellern serviert und wir essen zu zweit von einem. Dazu isst man Tiri, ein hauchdünnes Brot, das jeden Morgen gebacken wird.
Wir plaudern über dies und das, wie das Nomadensystem im Iran funktioniert, dass die Nomaden vor 50 Jahren im Krieg gegen die Engländer das Land verteidigt haben, usw.
Nach dem Essen geht es relativ rasch ins Bett, denn die Nomaden stehen mit den Hühnern auf und gehen auch entsprechend bald schlafen. Dazu werden auf dem Teppich im Zelt Matratzen ausgerollt und Decken aufgelegt.
Zahra hat ein Moskitonetz mitgenommen, das über unsere vier Schlafplätze gespannt wird. Es gibt in dieser Höhe zwar gar keine Moskitos, aber es soll auch verschiedene Krabbeltiere abhalten. Die Familie selbst braucht sowas natürlich nicht. In unserem Zelt schlafen neben uns vieren noch die beiden Töchter. Die anderen verteilen sich auf andere Zelte. Die Matratzen sind dünn und wir liegen hart. Aber wir schlafen schnell ein und haben eine gute Nacht.
Als wir wach werden, ist es schon hell. Die Nomaden sind schon lange auf den Beinen. Die Schafe und Ziegen gehen bereits auf die Weide. Die Mutter macht frische Butter. Auf einem Dreibein hängt eine Ziegenblase, die ruckartig hin und her bewegt wird. Nach etwa 40 Minuten (!) wird daraus Butter. Die Flüssigkeit wird in einen Blechtopf abgelassen und die Butter herausgefischt. Dann kommen wieder Milch, Molke und Joghurt hinein. So entsteht dann Dough. Ein EU-Hygieniker würden wahrscheinlich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, aber trotz der einfachen Verhältnisse und der Arbeit im Freien sind die Lebensmittel selbst ganz sauber.
Im Nachbarzelt bäckt die Schwägerin das Frühstücksbrot (Tiri). Sie rollt den Teig mit einem dünnen Stab auf einem mehligen Tuch hauchdünn aus, dann kommt er auf das gewölbte heiße Blech, bis er fertig ist. Unzählige kleine Teiglinge liegen noch im Mehl, als wir zum Frühstück gehen.
Zum Frühstück werden die Matratzen und Decken weggeräumt und wieder die Tischdecke auf dem Teppich ausgebreitet. Es gibt Tee und Tiri. Wir brechen ein Stück vom Brot ab und belegen bzw bestreichen es wahlweise mit Schafjoghurt mit Minze, mit Eierspeise oder mit Schafbutter. Es schmeckt ausgezeichnet.
Nach dem Frühstück brechen wir zur Heimreise auf. Der Neffe bleibt mit seiner Familie noch hier, nur wir vier fahren zurück. Judith verabschiedet sich von der Tante auf traditionelle Art mit dem Handkuss.
Auf der Heimfahrt kommen wir unter anderem auf die Politik zu sprechen. Mojtaba und Zahra sind zwar sehr gläubige Menschen. Trotzdem sind sie mit ihrer Regierung, dh mit den Ajatollahs gar nicht zufrieden. Sie sagen, dass diese nur an ihren eigenen Profit denken und das eigentlich gar nicht zur Religion passt. Religion und Politik sollten getrennt sein. Wir sind überrascht, denn wir dachten, wenn sie so religiös sind, dann müssten sie auch mit den religiösen Führern einverstanden sein. So kann man sich irren.
Am späteren Nachmittag fahren wir in den Süden von Shiraz. Dort liegt ein großer Salzsee, an dem wir heute übernachten wollen. Wir werden im Laufe des Nachmittags von mehreren einheimischen Motorradfahrern besucht. Einer davon schenkt uns einen Sack voller Äpfel aus seinem Garten.
Nächsten Morgen kommen Valentin und Deedrah (terryontour.ch) zum Frühstück zu uns. Wir haben die beiden Schweizer in Yazd kennengelernt und wollen in den nächsten Tagen gemeinsam die Wüste Lut erkunden.