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In der Stadt Tomsk machen wir unseren ersten längeren Halt in Russland. Die Stadt hat eine 400jährige, wechselvolle Geschichte hinter sich.

Anfangs Außenposten des russischen Reichs, dann wichtiger Handelsplatz am sibirischen Trakt, wurde sie von der sibirischen Eisenbahn wortwörtlich links liegen gelassen und verlor an Bedeutung. Zu Sowjetzeiten war die Stadt für Ausländer gesperrt, weil sich in der Nähe eines der vier Hauptzentren der russischen Atomwirtschaft befindet. Heute ist Tomsk eine Universitätsstadt und wichtiger Forschungsstandort. Es gibt daher viel Altes und Junges zu entdecken.

Im Zentrum von Tomsk befindet sich auch heute noch ein großes Denkmal von Lenin. Er deutet mit großzügiger Geste nach Süden, wo sich die Prospekta Lenina, die Hauptstraße von Tomsk, erstreckt. Wir folgen der Straße und kommen am Schauspielhaus und an der Konzerthalle vorbei, die uns an typische monumentale Sowjetbauten erinnern.

Lenin in voller Größe

Im Novosobornaya Ploshchad, einem Park, beginnt gerade eine Veranstaltung für Kinder. Allerdings laufen die Kinder in Tarnkleidung herum und an verschiedenen Stationen werden Kalaschnikows und Kampftechniken gezeigt. Das sieht für uns eher nach Paramilitär als nach Kinderprogramm aus …

Tomsk ist vor allem für die Holzhausarchitektur bekannt. Die Holzhäuser sind sehr kunstvoll verziert mit den so genannten Tomsker Spitzen. Die Tomsker haben den Wert dieser Häuser rechtzeitig erkannt und viele davon bis heute erhalten.

Drachenhaus Deutsch-russisches Haus Feuervogelhaus Tomsker Spitzen Tomsker Spitzen Tomsker Spitzen

Am anderen Ende der Leninstraße befindet sich der „Lagergarten“ genannte Park. Hier steht ein 18 m hohes Kriegerdenkmal. Die Skulptur symbolisiert Mutter Heimat, die ihrem Sohn das Gewehr zur Verteidigung des Vaterlands überreicht. Auf uns wirkt dieser Koloss eher befremdlich, ebenso wie die Tatsache, dass sich eine Hochzeitsgesellschaft vor dem Denkmal fotografieren lässt. Direkt hinter dem Denkmal fließt der Fluss Tom an der Stadt vorbei. Viele nutzen den sonnigen Tag am Flussufer zum Baden und Picknicken.

Mutter Erde gibt die Waffe an den Sohn zur Verteidigung des Vaterlands - so viel Pathos!

Ein Stück flussabwärts macht der Fluss einen Bogen nach Norden, wo eine breite Uferpromenade mit einem Park angelegt ist. Dort wollen wir am Abend mit einer Flasche Sekt auf Wolfgangs Geburtstag anstoßen. Nun ist es ja so, dass Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit in Russland verboten ist. Allerdings dürfte sich das noch nicht überall herumgesprochen haben, denn in ganz Russland, vor allem auf Picknickplätzen, sehen wir leere Vodka- und Bierflaschen herumliegen. Übrigens: Bier gilt erst seit 2011 als Alkohol, weil der Alkoholgehalt unter 10 % liegt. Wir wollen uns von dem Verbot daher nicht aufhalten lassen, suchen uns aber zur Sicherheit ein schattiges Plätzchen im Park, wo wir den Sekt öffnen.

An der Uferpromenade steht ein bemerkenswertes Denkmal von Anton Pavlovich Tschechow. 1890 musste Tschechow hier in Tomsk krankheitsbedingt einen Stopp einlegen. In seinem Tagebuch finden sich keine sehr positiven Einträge über die Stadt Tomsk und so hat ihm die Stadt 2004 dieses wenig charmante Denkmal mit dem Titel „Anton Pavlovich in Tomsk aus Sicht eines im Straßengraben liegenden Betrunkenen, der ‚Kashtanka‘ nicht gelesen hat“ gesetzt. Wir finden das Denkmal sehr witzig. Ob ein Tschechow-Liebhaber das auch so sehen würde, sei dahingestellt.

Anton Pavlovich in Tomsk aus Sicht eines im Straßengraben liegenden Betrunkenen, der ‚Kashtanka‘ nicht gelesen hat Unzählige Liebesschlösser

Als Universitätsstadt bietet Tomsk einige gute, junge Lokale, die sich manchmal hinter wenig ansehnlichen Fassaden verbergen. Im „Stroganina“ probieren wir sibirische Spezialitäten. Das „Set for a start“ besteht aus vier verschiedenen Brötchen (Streichkäse mit Lachs, Sibirische Wildpastete, geräucherte Entenbrust, hausgemachte Schwammerlpastete) und vier verschiedenen kleinen Schnäpsen, genannt Nastiokas (Rettich, Johanniskraut, Zirbe und Zitrone). Als Hauptspeise essen wir Pelmenis und eine Wildpfanne mit Steaks von Elch, Bär und Hirsch. Sehr köstlich!

Set for a start im Stroganina

Am Sonntagvormittag gehen wir zur Auferstehungskirche und hören die Glocken, die zur russisch-orthodoxen Messe einladen. Der Glöckner steht mit Gehörschutz oben im Glockenturm und bewegt mit Händen und Füßen die mit Seilen verbundenen Klöppel, sodass eine schöne Melodie erklingt.

Ein echter Glöckner bei der Arbeit


Von der Auferstehungskirche ist es nicht weit auf den sogenannten Auferstehungsberg, auf dem ein Gedenkstein an die Stadtgründung im Jahr 1604 erinnert. Gleich daneben befindet sich die röm.-kath. Kirche der Stadt, die von polnischen Vertriebenen gegründet wurde. Hier ist die Messe gerade zu Ende und wir setzten uns kurz in den bescheidenen Kirchenraum.

Der Gedenkstein zur Stadtgründung von Tomsk Die röm.-kath. Kirche von Tomsk