Die Insel ist nicht sehr groß (zwischen 50 km und 70km im Durchmesser), jedoch durch die drei Vulkankrater, welche die Insel dominieren, schwer zugänglich. So teilen wir unseren Aufenthalt in einen Nord-Westteil, sowie in einen Süd-Ostteil, um die Fahrstrecken zu optimieren. Trotzdem legen wir in zwei Wochen knapp 1.400 km mit dem Mietauto zurück.
Für die erste Woche beziehen wir das nette chambres d'hôtes „Villa Deluy“ in den Bergen über Saint Paul. Unser Zimmer liegt in einem schönen, exotischen Garten, samt Pool und Whirlpool. Von den Gastgebern werden wir täglich mit Frühstück verwöhnt und am Abend serviert der Hausherr einen Punsch, der aus Fruchtsaft und Rhum arrangé (einem mit verschiedenen Gewürzen versetzten, auf Réunion hergestellten Rum) gemischt wird.
Gleich nach unserer Ankunft werden wir Zeuge eines besonderen Naturschauspiels. Während wir auf der direkt am Strand gelegenen Terrasse eines Fischrestaurants sitzen und den Catch-of-the-day und ein Gläschen Sauvignon blanc genießen, recken plötzlich alle Gäste ihre Hälse und schauen erstaunt aufs Meer hinaus. Wir tun es ihnen gleich und sehen – Wale (!) – die nicht weit vom Ufer entfernt aus dem Meer springen und mit einer riesigen Wasserfontäne wieder hineinplatschen. Wir können es kaum glauben. Die Kellnerin erklärt uns, dass seit ein paar Jahren zwischen Juni und September Buckelwale aus der Antarktis hierherkommen, wo sie im warmen Gewässer ihre Jungen zur Welt bringen. Wir sind absolut beeindruckt und gehen nach dem Essen zum Strand, um das Spektakel noch weiter zu verfolgen. Auch in den nächsten Tagen fahren wir immer wieder mal an den Strand von Boucan Canot oder Saint-Gilles-Les-Bains, wo wir jedes Mal Buckelwale sehen.
Um uns zu akklimatisieren und uns auf das schwül-warme Wetter einzustellen, starten wir mit zwei leichten Wanderungen. Noch vor Sonnenaufgang fahren wir über unzählige enge, steile Serpentinen nach Dos d’Ane, von wo wir zum Cap Noir wandern. Generell ist es ratsam in Réunion immer zeitig unterwegs zu sein, denn am späten Vormittag ziehen meist dichte Wolken auf und verhindern dann die Aussicht. Wir haben Glück und genießen einen wolkenlosen, fantastischen Blick in einen der drei Hauptkrater, den Cirque de Mafate. Der Ausblick ist atemberaubend. Steile Berghänge, die über und über grün bewachsen sind und Schluchten, in die sich Wasserfälle stürzen. Der Cirque de Mafate ist der am wenigsten erschlossene Krater auf der Insel. Es liegen zwar einige Dörfer im Krater, diese sind aber nur zu Fuß erreichbar (oder mit dem Hubschrauber). Leider ist der weitere Wanderweg ab dem Aussichtspunkt seit einem Unwetter gesperrt.
Da unsere Wanderung somit wesentlich kürzer ausfällt als geplant, fahren wir am späteren Vormittag zur Savanne am Cap la Houssaye. Das ist ein kleines Gebiet, das im Gegensatz zur gesamten restlichen Insel staubtrocken ist und daher aussieht wie eine afrikanische Savanne. Gelbes Gras, Akazien, staubige Erde. Der Wanderweg beginnt direkt am Strand neben der Hauptstraße N1. Wir spazieren die Hügel hinauf, durch hüfthohes gelbes, verdorrtes Gras. Die heiße, staubige Luft riecht wie in Afrika. Herrlich! Wir wandern zu einem Aussichtspunkt, von dem aus man die gesamte Küste überblickt. Selbst von hier oben sehen wir im Meer mehrere Wale springen. Beeindruckend! Dann geht’s weiter den Berg rauf. Am höchsten Punkt machen wir eine kurze Pause, trinken etwas und essen ein paar Kekse, bevor wir zum Auto retour wandern.
Nach den beiden Wanderungen haben wir uns eine Stärkung verdient und so fahren wir nach Saint Paul, parken am Marktplatz und bummeln durch die Straßen. An der Strandpromenade sitzen viele Leute in der Mittagspause und essen ein Takeaway-Menü. Das gefällt uns und wir holen uns bei einem kleinen Imbiss eine Portion Reis mit Linsen und Fischragout. Dann suchen wir uns eine Bank an der Strandpromenade. Das Essen ist einfach und gut.
Um nochmals eine Blick auf den Cirque de Mafate werfen zu können, heißt es wieder bald aufstehen. Wir wollen den Sonnenaufgang am Aussichtspunkt Piton Maïdo erleben. Leider ist uns an diesem Tag der Wettergott nicht gut gesinnt und wir stehen dick in unsere Jacken eingepackt bei lediglich 8° C mitten in den dichten Wolken und sehen gar nichts. Am Retourweg beschließen wir bei einem zweiten Frühstück in einer Boulangerie, dass wir es am nächsten Tag nochmal versuchen. Und am nächsten Tag haben wir Glück. Die Wolken und Nebelschwaden verziehen sich und geben den Blick in den Krater frei, nur noch am Piton des Neiges und am Grand Bénard bleiben einige Wolkenfetzen hängen, sonst ist der gesamte Cirque de Mafate zu sehen. Es ist beeindruckend. Wir sind froh, dass das heute doch noch geklappt hat.
Der zweite der drei Hauptkrater der Insel, der Cirque de Salazie, lässt sich einfacher erkunden. Wir starten wieder zeitig und fahren entlang der Küstenstraße bis Saint André. Von hier zweigt eine Straße in den Cirque de Salazie ab. Kurz nach dem Ort Salazie stürzen sich die Cascade du Voile de la Mariée, die Brautschleierwasserfälle, eine grünbewachsene Felswand hinunter. Die einzelnen Wasserfälle ist zwar nicht sonderlich groß, aber so viele Wasserfälle nebeneinander sind doch beeindruckend. Die Straße führt weiter bis mitten in den Krater und endet im kleinen Städtchen Hell Bourg. Berühmt wurde der Ort durch Thermalquellen im 19. Jahrhundert, die aber wieder versiegt sind. Damit hat auch der Ort an Bedeutung verloren. Gleich außerhalb ragen steile Kraterwände auf, die üppig mit Bäumen, Sträucher und Pflanzen überwachsen sind. Auf dem Retourweg kommen wir beim La Cascade Blanche vorbei. Die Wanderung zum Wasserfall dauert etwa eine Stunde und führt über einen schlammigen Weg direkt bis zum Wasserfall. Insgesamt hat der Wasserfall eine Höhe über 640 m. Wahnsinn, wenn das Wasser mehrere Sekunden lang fällt… Es ist einer der höchsten Wasserfälle der Welt.
Bevor wir unseren Aufenthalt im Norden der Insel beenden besuchen wir noch die Vanilleplantage Domaine du Grand Hazier nahe Sainte-Suzanne. Hier auf Réunion wächst die berühmte Bourbon Vanille. Die Pflanzen stehen jetzt kurz vor der Blüte, man kann die Knospen schon gut erkennen. Wenn man bedenkt, dass jede einzelne Blüte nur einen Tag blüht und händisch bestäubt werden muss, und dass es von der Blüte bis zum Verkauf zwei Jahre dauert, in denen jede Schote mehrmals in die Hand genommen werden muss, um die Trocknung zu kontrollieren, ist es auch verständlich, warum eine Schote mehrere Euro kostet.