Eigentlich wäre unser nächster Stop der Cangandala Nationalpark, um die vom Aussterben bedrohten Riesenrappen-Antilopen zu sehen, das Nationaltier Angolas. Die Piste dorthin wurde aber schon lange nicht mehr instand gehalten und ist daher selbst für unseren Defender unpassierbar.
Die Auswaschungen sind so tief, dass wir befürchten, dass das Auto kippt. Also drehen wir um. Wir sind beide frustiert, denn diese Tiere zu finden, wäre ein Highlight unserer Angolareise gewesen.
So fahren wir weiter Richtung Westen. Unterwegs kommen uns zwei Mopeds entgegen, von denen das zweite plötzlich recht knapp vor uns ausschert und auf unserer Seite weiterfährt. Erst ganz knapp vor unserem Auto schwenkt er auf seine Straßenseite zurück. Wir halten ihn zuerst für verrückt, doch dann sehen wir, warum er so plötzlich ausgewichen ist. Auf seiner Straßenseite steht eine Kobra aufrecht in Angriffsstellung. Ein Wunder, dass er sie gesehen hat und rechtzeitig reagiert hat. Und wir sind froh, dass wir im Auto sitzen, geschützt von viel Blech. Wir haben in Angola schon viele Schlangen auf den Straßen gesehen. Kein Wunder, denn das hohe Gras wächst bis direkt an den Asphalt heran, und es gibt praktisch keine wilden Tiere, sodass auch natürliche Feinde fehlen.
Auf der Fahrt kommen wir immer wieder an bemerkenswerten Grafitti vorbei.
Da wir entlang der Strecke keinen geeigneten Übernachtungsplatz finden, steuern wir in N’dalatando das Priesterseminar an. Einer der Seminaristen fragt beim Priester nach und der gibt uns die Erlaubnis, auf dem Parkplatz hinter dem Seminar zu übernachten. Nach ein paar Minuten kommt der Priester selbst zu uns. Er spricht gut Englisch und heißt uns willkommen.
Also packen wir aus und nutzen den Nachmittag, um Reisetagebuch zu schreiben, unseren Gedanken nachzuhängen und im Internet zu surfen. Gegen 15 Uhr wollen wir auf die andere Straßenseite gehen, um uns die Kirche anzusehen. Als wir durch das Tor gehen, läuft uns ein Priester nach. Er stellt sich als Pater Murua Clemente vor und will uns die Einrichtungen der Diözese zeigen. Er spricht sehr gut Englisch.
In der Kirche zeigt er uns das Grab des ersten Bischofs der Diözese und erzählt uns, dass er hier seine Priesterweihe bekommen hat. Neben der Kirche wohnt der Pfarrer, dem wir einen kurzen Besuch abstatten.
Weiter geht’s zur Radiostation, die von der Diözese betrieben wird. Diese sendet in der Umgebung von N’dalatango täglich mehrere Stunden (die restliche Zeit wird das Programm aus Luanda übernommen). Wir begrüßen die Angestellten und werden dann im Studio live interviewt. Sehr spannend. Sie fragen, wie uns Angola gefällt. Und wir sollen den Zuhörern am Schluss eine Botschaft mitgeben. Wir platzieren Frieden, Ausbildung und Tourismus. Wie Pater Murua Clemente das dann schließlich auf Portugiesisch übersetzt, wissen wir nicht. Aber es ist unterhaltsam für uns. So schnell kommt man zu einem Radiointerview.
Neben der Radiostation befindet sich die Schule, die von der Pfarre betrieben wird. Es ist eine neue Schule, erst ein Jahr alt, mit etwa 1.000 Schülern. Am Nachmittag sind die höheren Klassen an der Reihe. Wir treten in eine Klasse ein, in der gerade kein Lehrer ist. Der Pater fragt, wer am besten Englisch spricht, und die Klasse deutet auf einen kleinen Burschen. Er spricht wirklich sehr gutes Englisch und ist schlagfertig. Er hat sich die Sprache über englisches Fernsehen angeeignet. Nicht schlecht. Beim hinausgehen schafft auch ein Mädchen einen englischen Satz: „I love you“ ruft sie Wolfgang nach und ich hab schon Angst, dass er nicht mehr rauskommt ;-) Wir reden kurz mit dem Direktor, Pater Lorenzo. Es gibt im ganzen Land zu wenige Schulen, obwohl Schulpflicht besteht. Ihre Schule hat einen guten Ruf, und mehr Eltern wollen ihre Kinder zu ihnen bringen, als Platz ist. Andererseits müssen sie aufpassen, dass die Regierung die Schule nicht schließt, weil sie das manchmal macht, wenn eine (nicht-staatliche) Einrichtung zu erfolgreich ist. Verkehrte Welt.
Danach gehen wir zurück zum Priesterseminar, aber unsere Führung ist noch lange nicht zu Ende. Pater Murua Clemente bringt uns mit seinem Auto zum ehemaligen Botanischen Garten der Stadt. Es ist ein ruhiger, idyllischer Ort. Die alten, teilweise zerbrochenen Gartenmöbel aus Gusseisen und Beton zeugen von besseren Zeiten. Auch ein paar alte Schilder zu exotischen Pflanzen sind noch erhalten geblieben. Ansonsten macht der Garten einen verwilderten Eindruck. Der Boden ist bedeckt von Laub und Müll. Es gäbe zwar von der Regierung ein Budget für den Garten, aber das Geld kommt irgendwie nie hier an. Am Eingang zum Park stehen ein paar Frauen und kaufen Früchte, die hier wachsen und die sie später in der Stadt verkaufen werden. Heute gibt es vor allem Orangen und Mandarinen. Der Pater kauft Mandarinen und für uns einen Sack Orangen. Viel zu viel, aber er lässt sich nicht abbringen. Er zahlt 1.000 Kwanza für den ganzen Sack (umgerechnet 1 Euro).
Auf dem Spaziergang durch den Garten redet der Pater recht offen über die Zustände. Er schimpft über die Politiker, die vor der Wahl viel versprechen, aber dann nichts tun. Und er schimpft, dass die Politiker nicht auf das Volk hören. Die Leute sind möglicherweise nicht gebildet, aber selbst die Analphabeten haben gute Ideen und wissen, was zu tun wäre. Die Politiker müssten nur zuhören. Wahre Worte.
Nach diesem Spaziergang geht es zurück in die Stadt und wir landen … auf einer Messe. Die Stadt hat Ende Mai Jahrestag der Stadterhebung und aus diesem Anlass findet eine Messe statt. In einem Festzelt stellen alle Gemeinden der Provinz aus. Auch alle öffentlichen Einrichtungen sind vertreten. Unter anderem die SME, die für die Immigration zuständig ist. Wir treffen den Direktor der Provinz und wir zeigen uns erfreut, dass wir kein Visum mehr benötigen. Außerdem berichten wir ihm von den schlimmen Straßenzuständen beim Cangandala Nationalpark. Es werden Fotos gemacht und wir bekommen Broschüren. Weiter gehts von Stand zu Stand. Pater Murua kennt viele Leute und erzählt ihnen stolz, dass wir Touristen sind, die bei ihm zu Gast sind. Mit ein paar Leuten können wir ein bisschen auf Englisch plaudern. Beim Stand der öffentlichen Sozialfürsorge bekommen wir Kugelschreiber und es werden wieder Fotos gemacht. So ändern sich die Zeiten. Vor 15 Jahren haben wir Kugelschreiber in Afrika verteilt.
Inzwischen ist es Abend und wir werden langsam müde. Aber eine Station will uns Pater Murua unbedingt noch zeigen: sein Elternhaus. Da können wir nicht nein sagen. Wir fahren ein Stück durch die Stadt, an einem Slum vorbei. Sein Elternhaus liegt auf einem kleinen Grundstück, ist aus Ziegeln gebaut und hebt sich von den Nachbarhäusern deutlich ab. Wir werden ins Esszimmer gebeten. Die Eltern, der jüngere Bruder und wir nehmen am Tisch platz. Das Gespräch ist recht einseitig, weil die Eltern kaum etwas sprechen. Wir erfahren, dass die älteste Tochter als Ordensschwester in Indien tätig war, jedoch krank wurde und verstorben ist. Jetzt sind sie nur noch 5 Geschwister. Damit liegt seine Familie wohl im angolanischen Schnitt. Als wir zum Schluss noch ein Foto machen wollen, werden alle lebendig. Wir machen Fotos in allen möglichen Konstellationen. Die Eltern scheinen trotz der Sprachbarriere recht angetan von unserem Besuch.
Auf dem Heimweg legen wir noch einen wirklich allerletzten Stopp ein, nämlich bei der Bäckerei der Diözese. Wir besichtigen kurz die Backstube, in der schon frischer Teig geknetet wird und plaudern mit den Bäckern. Pater Murua kauft für uns zwei Baguette, er lässt sich einfach nicht davon abbringen.
Als wir zurückkommen, ist es etwa 20:30 Uhr. Wir waren also mehr als 5 Stunden mit ihm unterwegs und sind erschöpft. Aber auch happy, dass wir in dieses Erlebnis hineingestolpert sind.
Nächsten Morgen müssen wir früh raus aus den Federn, denn um 6:30 Uhr beginnt die Morgenmesse. Wir ziehen uns adäquat an, Wolfgang in langer Hose, ich in der Kanga der Katholischen Frauenbewegung Sambia. Pater Murua holt uns ab und begleitet uns in die Kapelle.
Nach und nach trudeln auch die Seminaristen ein und es wird ein schönes Lied angestimmt. Wir lauschen der auf portugiesisch gehaltenen Messe, die von drei Priestern gefeiert wird und sind sehr von den Liedern angetan. Die Burschen haben tolle Stimmen.
Am Ende der Messe werden wir, wie in Afrika anscheinend üblich, zum Altar hinaus gebeten und wir müssen uns einigen Fragen stellen. Pater Murua übersetzt für die Seminaristen. Danach bekommen wir schon wieder eine Führung, diesmal durch das Priesterseminar. Wir sehen die Bibliothek, ein Klassenzimmer und den Speisesaal. Danach werden wir in das Speisezimmer der Priester zum Frühstück eingeladen. Es gibt Tee, Süßkartoffel und Omelette. Es schmeckt köstlich. Zum Dessert noch eine Papaya aus dem eigenen Garten. Zur Zeit sind die Papayas reif und man bekommt sie auch tonnenweise an den Straßenmärkten zu kaufen.
Nach dem Frühstück führt uns Pater Zola zu den Nutztieren und in den Garten. Er nimmt es mit Humor, dass sich die Nachbarn hin und wieder im Garten der Priester bedienen.
Danach müssen wir uns verabschieden. Wir geben eine Spende für die Bibliothek und bedanken uns herzlich für die Gastfreundschaft. Dann packen wir das Auto fertig zusammen und fahren los in Richtung Angolas Hauptstadt, Luanda.